Am 10. Februar 2013, dem 36. Sonntag nach Pfingsten und Festtag der Neumärtyrer und
Bekenner Russlands zelebrierte Seine Heiligkeit der Patriarch von Moskau und ganz
Russland Kyrill die Göttliche Liturgie in der Patriarchenkathedrale zu Mariä Entschlafen im Moskauer Kreml.
Nach dem Gottesdienst hielt Seine Heiligkeit Kyrill eine Predigt.
Liebe Väter, Brüder und Schwestern, ich begrüße Sie herzlich an diesem Tag des Herrn, und ganz
besonders, am Festtag der Neumärtyrer und Bekenner unserer Kirche.
Heute während des Gottesdienstes las man die folgenden bemerkenswerten Worte aus dem
zweiten Brief des Apostel Paulus an die Korinther: “Wie verträgt sich der Tempel Gottes mit
Götzenbildern? Wir sind doch der Tempel des lebendigen Gottes; denn Gott hat gesprochen: Ich
will unter ihnen wohnen und mit ihnen gehen. Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk
sein” (2. Kor. 6:16)
Wenn wir uns an die Neumärtyrer und Bekenner erinnern, kann uns dieser Text zu einem
besseren Verständnis von ihrer Heldentat verhelfen. Wie verträgt sich ein Tempel Gottes mit
Götzenbildern? Aber wir sind der Tempel Gottes. So spricht der Apostel zu den Korinthern und –
über sie - zu uns allen. Jeder Mensch ist nach dem Entwurf Gottes ein Tempel Gottes, denn der
Mensch wurde von Gott als Sein Abbild und Ihm ähnlich gemacht (Gen. 1:26). Der Mensch trägt in
seiner unsterblichen Seele ein Abbild des göttlichen Lebens, ein Ewigkeitsabbild. Er ist die Krone
der Schöpfung und als solche wird bewußt und freiwillig zu einem Gefäß Gottes, wenn er Gottes
Gesetzen treu bleibt, an Gott glaubt und Gott als den höchsten Wert anerkennt.
Und was sind Götzen? Götzen sind auch ein Wert für manche Menschen, die diese erschaffen
oder von anderen Menschen erschaffene Götzen anbeten. Ein Götze ist immer eine Schöpfung,
er kann auch eine Schöpfung Gottes sein. So hat man in den alten Zeiten Naturphänomene wie
Donner, Blitz, Sturm, Himmel und Erde verehrt, als ob sie absolute Werte wären, die sich keiner
höheren Macht unterwerfen. Aber dann ging der Mensch diesen Irrweg weiter und begann neue
Götzen zu schaffen, die keine Werke Gottes mehr waren, obwohl auch diese einer göttlichen
Verehrung nicht wert sind, sondern Menschenwerke. Und die grässlichste Ausgeburt dieses
Prozesses war die Verehrung des Menschen selbst.
Wir alle kennen so gut den Ausdruck: „Der Mensch ist der allerhöchste Wert“. Und wenn das
stimmt, wenn es keine höheren Werte gibt, dann darf der Mensch tatsächlich verehrt werden. Es
entstanden ganze Philosophien, die dazu dienten, neuen Generationen die Menschenanbetung
beizubringen. Es wurden einzelne Menschen, Helden und Herrscher, auserwählt und vergöttlicht.
Wir kennen auch den Begriff „Personenkult“, und das ist auch ein Götze, ein Erzeugnis der
menschlichen Einbildungskraft, eine Ausgeburt der kranken menschlichen Phantasie. Es können
zahllose weitere Beispiele genannt werden: Philosophien, Ideologien, politische Konzepte,
Personen, sie alle können zu Götzen werden. Die menschliche Natur selbst, die so leicht
Leidenschaften, Übeln, Versuchungen und Sünden unterliegt, wird in ihrem jetzigen Zustand
vergöttlicht, und zwar mit denselben Lastern und Sünden. Und daher kommt die Verehrung von
diesen Lastern, der Götzendienst.
Und was haben die Neumärtyrer und Bekenner damit gemeinsam? Sie wurden gezwungen, auch
Götzen anzubeten, die politischen und ideologischen. Sie wurden vor die Wahl gestellt, entweder,
im besten Fall, den Tempel Gottes mit den Götzen zu vereinbaren, oder, im schlimmsten Fall, alle
Tempel Gottes zu vernichten, damit man die Götzen verehren konnte. Aber sie gaben nicht nach.
Wenn wir heute über ihre Großtat nachsinnen, erkennen wir ihren Mut an. Das aber ist nicht
genug. Wir müssen uns auch die Atmosphäre vorstellen, in der diese tapferen Menschen gegen
den Strom gingen. Die Götzen von damals versprachen Glück für die Menschheit, genauso wie
man im Altertum glaubte, von Götzen Wohlstand, Fruchtbarkeit, Reichtum, körperliche Genüsse
und Macht bekommen zu können. Und so sollten auch die neuen geistigen Götzen Glück,
Wohlstand, Gerechtigkeit bewirken, das Reich Gottes auf Erden, allerdings ohne Gott. Denn wahr
sind die Worte: „Ein Götze kann sich mit dem Tempel Gottes nicht vertragen“. Wenn man einen
Götzen anbetet, kann man nicht mehr Gott anbeten, der in einem Tempel anwesend ist.
Und so kam es dazu, was geschah. Menschen, die die ideologischen und politischen Götzen
verehrten, nahmen diese als den höchsten Wert wahr und dienten ihnen mit religiösem Eifer. Oft
waren sie bereit, nicht nur ihr Wohl und das von anderen Menschen, nicht nur das Leben von
anderen Menschen, sondern ihr eigenes Leben aufzuopfern und auf den Altar dieser Götzen zu
legen.
Wir wissen, wie viel Blut dieser Götzendienst unserem Volk gekostet hat. Es wurde so viel Blut
gegossen, dass man denken möchte, dass wir gegen allerlei Götzen bestens geimpft sind; dass
wir so auf die Verehrung Gottes konzentriert und uns der Unmöglichkeit bewusst sind, Götzen
mit dem Tempel Gottes zu vereinbaren, dass keine neuen Versuchungen uns von der rechten
Bahn ableiten können. Aber es stellt sich heraus, dass es nicht der Fall ist. Neue Generationen,
die die tragische Erfahrung des Götzendienstes und seine blutigen Opfer nicht unmittelbar erlebt
haben, stellen heute alle ihre jungen Kräfte in den Dienst von neuen Kulten, neuen so genannten
absoluten Werten, die das sündhafte Leben des Menschen liefert. Diese neuen Götzen sind
Reichtum, Genuss, Verbrauch, Macht und Geld. Für diese falschen Werte, die zu den treuen
und höchsten erklärt werden, werden neue Altäre gebaut und Opfer gebracht, die Gott sei Dank
noch keine blutigen sind. Aber wie viele Menschen haben sich bereits durch diesen Götzendienst
innerlich zerstört, ihre Keuschheit, Reinheit, Gerechtigkeit, ihre Heiligkeit, innere Integrität
verloren! Wie viele Menschen haben ihre Familien verlassen, wie viele Kinder sind Waisen
geworden, obwohl sie Eltern haben! Wie viele Menschen begehen Verbrechen auf ihrer endlosen
Suche nach mehr Genuss und Vergnügen. Verbrechen, Korruption und andere Übel, die wir heute
zu den größten Krankheiten unserer Gesellschaft zählen, sind alle Folgen des Götzendienstes.
Natürlich standen die Neumärtyrer und Bekenner vor einer härteren Entscheidung als wir. Heute
droht niemand mit Tod, Foltern, Gefängnis oder Exil für die Götzenablehnung. Umso tragischer
wird aber die Tatsache, dass Menschen sich freiwillig, unter keinerlei Zwang, dem Götzendienst
widmen, und zwar mit Freude.
Was kann uns vor diesen Täuschungen retten? Starker Glaube und Erinnerung an unsere
Neumärtyrer und Bekenner, die sogar in einer Todesgefahr den Götzendienst verweigert haben.
Sie sind in eine andere Welt, zu Gott gegangen und zu Helden unseres Volkes und Heiligen
unserer Kirche geworden. Und wenn wir heute an sie andenken, deren allen Namen nur Gott allein
kennt, bitten wir die Heiligen Neumärtyrer und Bekenner unserer Kirche darum, mit uns zu sein in
dieser schweren Zeit von neuen Götzen und neuen Täuschungen.
Im Heiligen Evangelium steht geschrieben, dass wenn Christus nicht gekommen wäre, wären wir
ohne Sünde. Da wir aber wissen, dass Er gekommen ist und was Er getan hat, haben wir keine
Entschuldigung für unsere Sünde, wenn wir das Gesetz nicht erfüllen (vgl. Jo 15:22). Diese Worte
können wir auch für unser heutiges Thema verwenden.
Es wäre viel einfacher, wenn wir kein Vorbild der Neumärtyrer und Bekenner hätten, wie
andere Nationen, bei denen Gottesablehnung und Götzendienst sich allmählich über die
Generationen hinweg entwickelt haben. Dort werden der Verzicht auf den Glauben, auf
Gott, und der Bruch mit der christlichen Tradition nicht selten als natürliche Entwicklung des
menschlichen Gedankens gesehen. Diese Nationen haben keine solche schreckliche Strafe für
den Götzendienst erlitten wie wir! Unser Volk hat aber diese Erfahrung und hat auch das Vorbild
der großen heiligen Neumärtyrer und Bekenner. Und deshalb sollen wir auch dazu fähig sein, alle
Götzenversuchungen abzuwehren.
Wir sollen als Volk einen starken Geist haben – angesichts der Opfer von unseren Vätern und
Großvätern dürfen wir nicht anders! Wir sollen unseren Glauben bewahren und nur Gott als den
allerhöchsten Wert anerkennen, Ihn allein verehren, und nicht die Götzenbilder von dieser Welt, ob
sie in Geist oder Fleisch erscheinen.
Wir glauben, dass die Heiligen Neumärtyrer heute mit uns sind. Sie beten für ihre Kirche, und sie
beten für ihr Volk. Und durch die Kraft ihres Gebets wird uns tatsächlich die Fähigkeit gegeben,
dem Götzendienst zu widerstehen, im Bewusstsein, dass wir, Christen, Gottes Tempel sind, weil
Gott mit uns ist. Er kommt mit uns, Er hat sich unser Gott und uns Sein Volk genannt. Amen.
Pressedienst des Patriarchen von Moskau und ganz Russland